
Krieger-Bewusstsein (Kraftbringer)
Im Alter ab ca. 2 Jahren gilt es zu lernen, sich abzugrenzen, sich Eigenständigkeit und Respekt zu verschaffen und auch Nein sagen zu können. Es ist die erste Ablösung von der Familie oder von der Einbettung in eine Gruppe/Sippe, was immer mit massiven Eruptionen verbunden ist. Kinder entwickeln erste Ich-Strukturen (Trotzphase) und kühne Abenteuerlust noch ohne Bewusstsein für Konsequenzen oder Gefahren. Sie lieben es zu provozieren um Grenzen auszuloten. Nach wie vor im «magischen Alter» und von starken Gefühlen, Impulsen und Bedürfnissen gesteuert, die sofort befriedigt werden sollen, und vor Ich-Bewusstsein strotzend, wollen sie der Held oder die Heldin ihres Lebens sein, sind daher eher Einzelgänger und etwas isoliert: «Ich gegen den Rest der Welt», daher zeitweise aggressiv und expansiv. – Das Denken ist erst ansatzweise linear; der geistige Horizont umfasst die unmittelbare Umgebung: Kinderzimmer und Sandkasten mit allen «Spielzeugen» wie Autos, Flugzeugen und Schiffen, Kinderwagen, Marionetten, Puppen und Puppenhaus.
Als die leichtfüssigen Jäger und SammlerInnen über viele Jahrhunderte hinweg langsam sesshaft wurden (neolithische Revolution in Europa) und begannen sich Grund und Boden anzueignen, um darauf Acker- und Viehwirtschaft zu betreiben, mussten sie für ihre Ernte und Vorräte Häuser bauen. So entstehen Besitz und Eigentum. Das wiederum kann zerstört oder geraubt werden, d.h. man muss die Lebensgrundlage schützen und verteidigen. In der Angst gehorteten Besitz und die Familie zu verlieren und dadurch Mangel zu erleiden, liegt der Ursprung von Gewalt und Krieg. Und weil das Leben zunehmend mehr durch Vorsorge und damit verbundene Sorgen bestimmt wird, geht die Fähigkeit «im Moment leben» zu können, langsam verloren. Die wachsenden handwerklichen und landwirtschaftlichen Kulturtechniken erfordern viel Hartnäckigkeit und Ehrgeiz und das Gelingen – oftmals gegen verschiedene Widrigkeiten – führt schlussendlich zu berechtigtem Stolz. Doch andererseits wachsen aufgrund von Besitz auch Neid und Konkurrenzdenken und das einstige gleichberechtigte Zusammensein von Frauen und Männern beginnt mit zunehmender Sesshaftigkeit in Richtung Patriarchat zu bröckeln, ebenso wie der harmonische Einklang mit der gesamten Umwelt durch zunehmende Ausbeutung natürlicher Ressourcen.
Die persönliche und kollektive Entwicklung geschieht auf dieser dritten Ebene, auf welcher der Dualismus (hell/dunkel, Gut/Böse, Freund/Feind…) mit sehr viel Kraft bis in beide Extreme gelebt, herausgefordert und erlitten wird, meist sehr unbewusst. Daher überwiegen die negativen, dunklen Aspekte in der Wahrnehmung des Krieger-Bewusstseins, in dem es um Macht in Form persönlicher Durchsetzungskraft, innerer Stärke und eigenem Wirkungsvermögen geht, sowie Schande um jeden Preis zu vermeiden sowie den Ruf und das Gesicht mit allen Mitteln zu wahren. In dieser Phase überwiegender Eigeninteressen wird einiges Porzellan zerschlagen. Erst auf den nachfolgenden Ebenen können durch bewusste Selbstreflexion der Vergangenheit einige der positiven, hellen Aspekte des Krieger-Bewusstseins erkannt, gelebt und integriert werden:
«Krieger ist jener Mensch, der kriegt, was er wirklich braucht.» – Wer seine Bedürfnisse kennt, kann diese ohne anderen oder der Natur zu schaden verwirklichen und durchsetzen, sogar als Win-Win-Erlebnis für alle Beteiligten. Voraussetzung dazu ist ein gehöriges Mass an Tugend und Verantwortung. Für sich oder für andere einstehen oder ein höheres Ziel verwirklichen wollen, das zeichnet den «edlen Ritter», «friedvollen Krieger[1]» oder «selbstlosen Helden» aus.
Im Mittelalter lernten einige auserwählte Ritter in der «hohen Minne» neben den Kampfkünsten auch Tanz, Musik, Gesang und Poesie als wesentlicher Teil ihres eigenen Tugend- und Einweihungsweges. Dabei spielten Selbstlosigkeit und Liebe eine grosse Rolle, denn die Tugendkeime – Mass, Demut, Milde, Minne, Achtsamkeit, Beschaulichkeit, Beharrlichkeit, Keuschheit, Scham, Zucht, Treue, Geduld – sollten in der Tugendblume zur vollen Entfaltung kommen. Es sind durchwegs ähnliche Ziele wie sie im Bushidō, dem Kodex japanischer Samurai-Krieger, enthalten sind, der im Übergang zu Blau aufgeschrieben worden war. Diese hohen Werte sollen unbegrenzte Kraft, inneres Potenzial, leuchtende Tugenden, hohes Streben und erhabene Weisheit im Bewusstsein des Kriegers fördern – Werte und Ideale, die teilweise von heutigen Film-Helden in den heutigen Marvel- und DC-Universen übernommen werden.
Das Krieger-Bewusstsein hat noch kaum eine angemessene Vorstellung davon, wie vielschichtig das «Erwachsenleben» wirklich ist, noch von der Komplexität der Welt. Es ist daher alles sehr «einfach gestrickt». Fast permanent überfordert, fühlt man sich unsicher, ängstlich und leicht verwirrt und man wird von Gefühlen und Impulsen überwältigt. Das daraus resultierende Misstrauen und die Zweifel verletzen nicht selten die Gefühle anderer Menschen, was sich bis und mit Orange weiterzieht. Daher wundert es nicht, dass «rote» Freundschaften leicht zu Bruch gehen und «rote» Beziehungen (auch Geschäftsbeziehungen) kaum von langer Dauer sind.
Fehlen Liebe und Zuneigung sowie das Gefühl von echter, tiefer Geborgenheit, betrachten Menschen dieser Ebene die Welt aufgrund ihres Misstrauens als ein feindlicher und gefährlicher Ort. Daher ist Selbstschutz sehr wichtig. Ihre permanente Angst davor, jemand anderes könnte sie beherrschen, kontrollieren oder täuschen, veranlasst sie dazu, andere Menschen zu manipulieren. Aus Angst die Kontrolle zu verlieren ist Kritik undenkbar und somit gibt es Kritik gar nicht! Auch keine Niederlage – auch sie ist undenkbar! Mit der Devise «Wer nicht für mich ist, ist gegen mich!» wird blinder Gehorsam und unkritische Übernahme von Ideen gefordert. Zudem soll ein System von Verzerrungen die eigene Angst minimieren und die Selbstachtung maximieren.
Weil das Leben «als Kampf des Stärkeren um Macht, Ehre, Respekt und Reichtum» erlebt wird, gilt es anderen immer überlegen zu sein und sich in selbstgewähltem Heldentum und bedenkenlosem Kampf gegen Feindbilder zu beweisen, Zwänge zu brechen und die Eigeninteressen sofort durchzusetzen.
Im Streben nach Macht und Besitz wird ohne Rücksicht auf Verluste alles durchgesetzt, was dem eigenen Ziel und Zweck dient. Dabei hilft ein ausgeprägtes Gespür für günstige Gelegenheiten. In der Meinung einen Freibrief in Händen zu halten, ist alles erlaubt. Es gibt kein Gut und Schlecht, sondern nur Wölfe und Schafe, Jäger und Beute, Gewinner und Verlierer. Handlungen sind nur dann schlecht, wenn man dabei erwischt und bestraft wird. Geschieht dies, werden andere für das eigene Fehlverhalten beschimpft, denn verantwortlich sind immer die anderen, niemals man selbst.
Menschen dieser Ebene haben enorme Kräfte und feurigen Willen, sind freiheitsliebende Alpha-Tiere und daher oftmals sehr hart und unbarmherzig mit anderen und auch mit sich selber. Wenn sie unreflektiert und aus innerer Verletztheit heraus handeln, reagieren sie auf Bedrohungen impulsiv mit physischer Gewalt und dürfen niemals ihr Gesicht verlieren.
+ Fördernd sind Wille, Mut und Tatkraft: «Mach dir keine Sorgen über Konsequenzen, die vielleicht nie eintreten!», Durchhaltewillen und Disziplin werden geschätzt, keine Opferhaltung, ausgeprägtes Ichbewusstsein, (natürlicher oder geforderter) Respekt
- Hindernd sind Selbstwichtigkeit und autoritäres Gehabe, Überlegenheitsphantasien, Machismus, Mobbing, Selbstbereicherung und Wirtschaftsspekulation (Casino-Mentalität), wie in einer Gefängnisatmosphäre sind Körperkraft und nicht rationales Denken wichtig, ein meist noch unterentwickeltes Gewissen, statt Meinungsaustausch tobt ein Meinungskampf mit gezielten Unwahrheiten (fake news) und kruden Verschwörungstheorien
Übergang Rot à Blau
Während sich das abstrakte und lineare Denken weiterentwickelt, schreitet auch die Entwicklung des Gewissen stetig voran, d.h. der Blick geht ab und zu nach Innen und die Verantwortung für eigene Handlungen und Entscheidungen werden zunehmend mehr selber übernommen. Wenn rationale Überlegungen die rohe, emotionsgeladene Gewalt abzulösen beginnen, wächst auch die Kommunikationsfähigkeit. Respekt kann nun durch die Einhaltung der Gruppennormen und nicht mehr nur durch Macht erreicht werden. Respekt gegenüber anderen zeigt man, indem man ihnen Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. «Ich kann meine Freunde fragen», d.h. eine oberflächliche Ähnlichkeit mit anderen wird entdeckt und als angenehm wahrgenommen. Man ist nicht mehr alleine! – Man beginnt, sich unverbindlich in Clubs zu vergnügen…
______
[1] vgl. die beiden Bücher von Dan Millman: Der Pfad des friedvollen Kriegers und Der friedvolle Krieger
Urban